Globalisierter Krieg oder “Weltkrieg auf Raten”

NATO-Generalsekretär Mark Rutte betonte am 5. Juli 2025 in der New York Times, dass China im Falle eines Angriffs auf Taiwan seine russischen Verbündeten auffordern würde, NATO-Staaten anzugreifen, um die USA und ihre Partner zu binden. Ähnliche Szenarien gelten für Nordkorea im Hinblick auf Südkorea und Japan. Wie im Nahen Osten verschleiert die isolierte Betrachtung einzelner Kriegsschauplätze das eigentliche Ausmaß: Mehr als 50 Staaten sind inzwischen durch bestehende Kampfhandlungen direkt oder indirekt miteinander vernetzt.

Was als lokal begrenzter Drohnenkrieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Bergkarabach begann, erwies sich als Vorbote einer neuen globalen Konfliktdynamik. Technologische Überlegenheit, zunächst regional eingesetzt, lieferte das Modell für künftige Auseinandersetzungen: Drohnen auf Grundlage globaler Lieferketten, elektronische Kriegführung und asymmetrische Taktiken senken die Eintrittsschwelle in den Krieg. Immer mehr staatliche und nichtstaatliche Akteure nutzen diese Instrumente, um die konventionellen Grenzen der Kriegsführung aufzulösen.

Bereits im Oktober 2023 sprach Papst Franziskus von einem „Weltkrieg auf Raten“. Ohne klar definierte Bedeutung emotionalisiert jedoch der Begriff unnötig. Bislang blieb eine direkte Konfrontation zwischen den Großmächten ebenso aus wie eine massenhafte Mobilisierung. Dennoch kämpfen nordkoreanische Soldaten, Pioniere aus Laos und afghanische Kräfte auf europäischem Boden, Waffenlieferungen erreichen weltweit Krisengebiete, und Lieferketten selbst werden zu Angriffszielen – wie der versenkte Frachter im Roten Meer zeigt. Mit umfassenden „Strategies of Denial“ werden geostrategische Räume gezielt auf größere Kampfhandlungen vorbereitet und blockiert. Aggressionen verschieben mittels hybrider Kriegsführung und „Grey-Zone-Operations“ bewusst die Toleranzgrenzen demokratischer Gesellschaften. So entstehen Handlungen unterhalb der normativen und juristischen Kriegsschwelle – Kriege ohne formelle Kriegserklärung.

Wir erleben eine Kriegsführung, die speziell auf die Schwächen von Demokratien zugeschnitten ist: Überraschungsangriffe wie der Hamas auf Israel, Spezialkräfte ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim oder Enthauptungsschläge in den ersten Tagen des Ukraine-Krieges sollen „fait accompli“-Situationen schaffen, gefolgt vom Einsatz von Massenheeren mit industrieller Kriegswirtschaft. Diese Taktiken testen die Reaktionsfähigkeit des Westens, sichern Angreifern strategische Ziele und treiben westliche Bündnisse an die Grenze zur Entscheidungsstarre. Besonders kritisch bleibt der Umgang mit Überraschungsschlägen: Demokratien bewegen sich zwischen dem Risiko präventiver Maßnahmen und den Gefahren verspäteter Reaktion.

Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden lösen sich zunehmend auf, Überraschungsangriffe sind keine Ausnahme mehr. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes warnte jüngst vor verdeckten Operationen russischer Spezialkräfte, die – ohne Hoheitsabzeichen und ohne Kriegserklärung – in baltisches NATO-Gebiet eindringen könnten. Russlands erklärtes Ziel: Die Zersprengung der NATO. Präventiv hilft nur glaubwürdige Abschreckung; und zwar gesamtgesellschaftlich.Die aktuelle Lage verlangt eine grundlegende Anpassung – sowohl in der strategischen Kommunikation als auch in der Fähigkeit von Gesellschaften, geopolitische Risiken nüchtern zu bewerten. Dazu gehören regelmäßige Übungen militärischer und politischer Entscheidungs- und Einsatzmechanismen auf nationaler Ebene sowie innerhalb der EU, der NATO und globaler Bündnisse. Für den zivilen Bereich gilt es, sich an instabile Rahmenbedingungen anzupassen, Bedrohungen analytisch zu erfassen und gesellschaftlich tragfähige Schlüsse zu ziehen. Die zentrale Frage lautet: Welche strategischen Ziele verfolgen Deutschland, Europa und die westlichen Bündnisse?